Wie nachhaltig ist die Schweiz?

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Autor: Randy Alexander
Erstelldatum: 28 April 2021
Aktualisierungsdatum: 1 Juli 2024
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Obwohl die Technologie effizienter geworden ist und einem nachhaltigen Lebensstil wenig im Wege steht, zeigt eine neue Studie, dass auch die Schweizer von einer 2000-Watt-Gesellschaft weit entfernt sind.


Die Vision einer Gesellschaft, in der jeder Erdbewohner nur 2000 Watt verbraucht, gibt es schon seit 15 Jahren. In dieser Zeit hat das Umweltbewusstsein im Westen stetig zugenommen. Die Technologie ist effizienter geworden und einem nachhaltigen Lebensstil steht anscheinend nur wenig im Wege. Doch wie eine Studie der Empa und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich zeigt, sind Herr und Frau Schweizer noch weit davon entfernt.

Bildnachweis: Shutterstock Mopic

1998 entwickelten Forscher der ETH Zürich ein energiepolitisches Modell, das die wachsende Weltbevölkerung mit Energie versorgen und gleichzeitig die Umwelt schützen könnte. Durch den Einsatz effizienter Technologien und Verfahren sollen die Industrieländer ihren Energieverbrauch auf 2000 Watt pro Einwohner senken - den weltweiten Durchschnitt. Die freiwerdenden Ressourcen könnten dann helfen, Armut und Hunger weltweit zu bekämpfen, ohne den Lebensstandard der westlichen Länder zu senken. Die Stadt Basel fungiert als Pilotregion und 2008 haben sich die Zürcherinnen und Zürcher in der Wahlurne für eine 2000-Watt-Gesellschaft ausgesprochen. Gleichzeitig mit der Reduzierung des Stromverbrauchs soll der Ausstoß von Treibhausgasen auf eine Tonne CO2 pro Person und Jahr gesenkt werden.


Der aktuelle Pro-Kopf-Energieverbrauch in der Schweiz liegt indes noch deutlich über dem Nachhaltigkeitsziel, wie die jährliche Energiestatistik des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) zeigt. In solchen Statistiken wird jedoch ein „Top-down“ -Ansatz verwendet: Sie teilen den Gesamtverbrauch durch die Einwohnerzahl. Dominic Notter und Hans-Jörg Althaus von der Empa und Reto Meyer von der ETH Zürich haben deshalb eine Studie durchgeführt, die den ökologischen Fuß der Schweiz als „bottom-up“, also individuell betrachtet. Die Forscher hatten gehofft, Haushalte zu finden, die bereits die Kriterien der 2000-Watt- und / oder 1-Tonne-CO2-Gesellschaft erfüllen. Aus diesen Beispielen könnten dann wegweisende Nachhaltigkeitsstrategien abgeleitet werden. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Environmental Science & Technology“ veröffentlicht.

Durch eine Kombination aus Umfrage und Lebensstilanalyse erhielten die Forscher einen einzigartig detaillierten Einblick in die verschiedenen Lebensstile der Schweizer Bevölkerung. 3369 Haushalte beantworteten Fragen zu Wohnen, Verkehr, Ernährung und Konsumgütern. Mit Hilfe der von der Empa verwalteten Datenbank «ecoinvent» ermittelten die Forscher den individuellen Energieverbrauch sowie die daraus resultierenden Treibhausgasemissionen und die Gesamtbelastung der einzelnen Haushalte für die Umwelt.


Kein einziger befragter Haushalt erfüllte die Bedingungen der 2000-Watt-Gesellschaft vollständig: Selbst energieeffiziente Menschen verursachten zu viel CO2-Ausstoß. Der niedrigste Einzelwert und der Durchschnitt der nachhaltigsten 10% der Befragten sind gekennzeichnet.

Westlicher Lebensstil und die 2000-Watt-Gesellschaft - ein Widerspruch?

Das Ergebnis war ernüchternd: Von 3369 befragten Haushalten erfüllte kein einziger die Bedingungen der 2000-Watt-Gesellschaft. Die ökonomische Theorie, dass die Umweltbelastung mit steigendem Einkommen zunimmt und dann wieder abnimmt, wurde ebenfalls nicht bestätigt. Obwohl der Energieverbrauch, die Emissionen und die Umweltverschmutzung linear mit dem Einkommen steigen, findet keine Verringerung statt (bei noch höheren Einkommen).
Der Energieverbrauch der befragten Haushalte reichte von „vorbildlichen“ 1400 Watt pro Person bis zu 20.000 Watt - dem Zehnfachen des Zielwerts - mit durchschnittlich 4200 Watt. Insgesamt unterschritten nur zwei Prozent der Befragten die 2000-Watt-Schwelle - und emittierten sogar weit mehr als eine Tonne CO2. Bezeichnend ist jedoch, dass diese Niedrigenergiehaushalte in jeder Einkommensklasse zu finden sind. Wenn Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen nur 2 kW Energie verbrauchen, ist das Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft erreichbar: Niedriger Energieverbrauch ist bei hohem Lebensstandard möglich.

Rund ein Viertel der Energie wird als Strom verbraucht - daher kann eine massive Reduzierung des Gesamtverbrauchs nicht allein durch den Einsatz energieeffizienterer Geräte erreicht werden. Dies liegt daran, dass ein großer Teil der Energie für Heizung und Transport aufgewendet wird. Gerade in diesen Kategorien schneiden die Niedrigenergiehaushalte besonders gut ab. Somit war die beheizte Fläche pro Person gering und der Heizbedarf relativ gering. In Bezug auf den Verkehr waren diese Haushalte ebenfalls sehr zurückhaltend: Sie beschränkten sich auf das Autofahren und Fliegen.

Obwohl die durchschnittliche Umweltbelastung der Befragten relativ gering ist, übertrifft sie die Richtlinie der 2000-Watt-Gesellschaft um ein Vielfaches. Der höchste gemessene Energieverbrauch liegt sogar zehnmal höher als der empfohlene Wert.

Das größte Verbesserungspotenzial sehen Forscher daher im Bereich des Lebens- und Verkehrsverhaltens. Selbst in Niedrigenergiehaushalten ist die beheizte Fläche pro Person zu groß. Der Verkehr, insbesondere mit dem Auto und dem Flugzeug, verursacht fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen und schwerwiegende Umweltbelastungen: Die in diesem Bereich verwendeten Energiequellen sind in erster Linie fossile Brennstoffe.

Verzichten ist unvermeidlich

Forscher glauben, dass die Umwandlung unserer Gesellschaft in eine nachhaltige 2000-Watt-Gesellschaft möglich ist - aber nur mit „größtmöglichem Aufwand“. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist jedoch weitaus schwieriger. Dafür müsste die Schweiz 80 Prozent ihrer Gesamtenergie aus kohlenstoffarmen Quellen beziehen. Mit der Stilllegung der Kernkraftwerke bedeutet dies erneuerbare Energien - und zwar nicht nur für Strom, sondern auch für Heizung und Verkehr. Dies würde der Studie zufolge bedeutende technische Fortschritte und eine Änderung des Lebensstils erfordern.

Das ehrgeizige Nachhaltigkeitsziel ist nur erreichbar, wenn Einzelne und der Staat gemeinsam eine Nachhaltigkeitsstrategie anstreben. Dies erfordert Maßnahmen wie eine intelligente Stadtplanung, die den Bedarf an Reisen verringert, und politische Maßnahmen zur Förderung eines umweltfreundlichen Verhaltens. Ein nachhaltiger Lebensstil ist durch Sparsamkeit gekennzeichnet. Obwohl wir unsere Lebensqualität erhalten können, ist es notwendig, auf Extravaganz zu verzichten. Laut Notter könnte jeder seinen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, indem er in einem kleineren beheizten Gebiet lebt, die Nutzung des Verkehrs einschränkt und übermäßigen Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen vermeidet.

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